»Der bildnerische Ansatz für seine gleichermaßen offenen wie geschlossenen Strukturen und Systeme ist für Gerd Reutter der Kasten. So besitzt das setzkastenähnliche, quadratische Holzrelief über hundert unterschiedlich große Kammern, die mit Tonobjekten besetzt sind. Diese minimalistischen Serieneinheiten haben meist ein kubisches Volumen, ohne je ganz dem Primat des rechten Winkels zu verfallen, erinnern trotz ihrer bewussten Formung durch die Künstlerhand an objets trouvés aus einem Steingarten. Auf der Oberseite können sie parallel in den Ton geritzte Linien aufweisen, sodass sie teilweise ornamentalen Charakter annehmen. Die additive Reihung wird einzig durch ein im Zentrum befindliches Tonstück unterbrochen, welches ein eher florales Muster aufweist; ebenfalls werden drei kleine Kästchen bewusst leer gelassen. Die Objekte sind unglasiert, sodass bei gleichbleibender Tonfarbe der spröden Oberflächen das Form-Sehen in den Vordergrund rückt, als müsste jeder Hinweis auf die individuelle Geschichte und konkrete Provenienz der Tonfragmente negiert werden, um sie in gleichwertige und gleichrangige Elemente einer neuen Komposition zu verwandeln, in der andere Potenziale ihrer Wirklichkeit freigesetzt werden. Da trotz der Suggestion eines Systems im Aufbau nie der Eindruck einer mathematisch begründeten Gesetzmäßigkeit besteht, entdeckt der Betrachter in dem Irrgarten seiner Wahrnehmung Organisationsprinzipien, die durch den fortwährenden Wechsel von Begrenzung und Entgrenzung, von Erfassen und Freisetzen gekennzeichnet sind. So leben Reutters skulpturale Assemblagen von dem Spannungsverhältnis von Rahmen und Motiv, von Isolation und Integration, von Parzellierung und all-over, von Öffnung und Verschluss, Bergen und Verbergen.«
Werner Marx, Kunsthalle Mannheim