»…Auch die andere Arbeit Reutters („Kammer VI“) ist in Raku-Technik gefertigt und besticht durch ihre lebendige Oberfläche. Neben dem unregelmäßigen Krakelee ist es die von Blau über Rot bis Grün reichende Farbigkeit der Glasur, die den Eindruck bestimmt. So offen die zuerst beschriebenen Schalen sind, so verschlossen präsentiert sich dieses Werk.
Die Form des Gefäßes ist denkbar einfach und grob ausgestaltet. Es sind drei sich nach unten verjüngende Flächen, die aneinander gefügt einen kannenartigen Behälter auf dreieckiger Grundfläche ergeben. Dieses hermetische Gefäß, das man als solches nicht sofort erkennt, ist auf besondere Weise geschützt, wobei die Frage offen bleibt, ob das Gefäß an sich zu schützen ist oder dessen Inhalt. Umgeben von einem Stahlkäfig, lässt es sich nicht benutzen. Reutter spielt hier auf die Kostbarkeit des Wassers an. So elementar es ist, so ist es doch nicht für jeden Menschen gleichermaßen zugänglich und nutzbar. In manchen Erdteilen ist es Mangelware, während es in anderen durch Verschmutzung bedroht ist. Durch die formale Gestaltung erhält das Arrangement sakralen Charakter, es wirkt wie ein kostbarer, schützenswerter Reliquienschrein, der zur Schau gestellt wird. Andererseits wohnt dem Arrangement auch ein dezidiert martialischer Aspekt inne: die metallene Ummantelung, die nirgendwo eine Öffnungsmöglichkeit bietet, stellt ein Gefängnis dar. Auch ein Gefäß kann ein Gefängnis sein oder, wie die Büchse der Pandora, Unheil bringen.
Gerd Reutters Arbeiten sind keine Gefäße im üblichen Sinne, es sind Skulpturen, die Raum schaffen, Raum verdrängen, den Betrachter visuell, körperlich und gedanklich aktivieren und damit existenzielle Fragen aufwerfen.«
Dr. Inge Herold, Kunsthalle Mannheim